Martin Suters »Montecristo«: Ein Krimi, der sich selbst entlarvt

Suters neustes Buch ist spannend und elegant geschrieben; doch die Frage ist, ob noch mehr drinnen steckt. Die Erzählung scheint selbst so glatt wie die Gesellschaft, die sie problematisiert – was vielleicht wiederum ein Kunstgriff ist.

Einem Auftragsmörder müsste eigentlich daran gelegen sein, möglichst unscheinbar auszusehen. In Martin Suters Kriminalroman Montecristo ist dem aber nicht so: Der namenlose Mann, der den Airbag eines anderen Wagens präpariert und mittels Fernbedienung explodieren lässt, um einen tödlichen Unfall auszulösen, hat rotes Haar, das er zu einer Igelfrisur gegelt hatte (S. 85). Realistisch ist diese Figurenzeichnung also nicht, aber sie bewirkt, dass der Leser den „Rothaarigen“ an anderen Stellen wiedererkennt, und sie könnte ein Sinnbild sein für die Schärfe, mit der die unbekannte Macht vorgeht. Dies ist die Stärke und Schwäche von Suters neustem Werk, das sich seit Monaten in den Bestsellerlisten bewegt: Ein effektvolles Buch, weil es über weite Strecken spannend ist und brillante Szenen enthält, aber dem es an Wahrscheinlichkeit und damit an Wahrheit fehlt.

Einem Krimi kann man Letzteres weniger zum Vorwurf machen. Doch Montecristo könnte mehr sein als bloß nervenkitzelnde Unterhaltung: In der Geschichte über die Verschwörung der Schweizer Bankenwirtschaft mit Politik und Medien als Folge der Finanzkrise geht es ja um die Einsicht, dass die Gesellschaft unserer Tage geldfixiert und zynisch ist. Der Roman bietet hierfür auch ein Symbol (welches auf dem Einband abgebildet ist): eine Statue aus grünem Lack, die einst eine Muttergottheit einer uralten vietnamesischen Volksreligion gewesen war (S. 26). Jonas Brand, der Held im Roman, erwarb sie bei einer Antiquitätenhändlerin in Saigon, um sie in seiner Wohnung als Safe für Geldscheine zu benutzen: Im Rücken der Statue befindet sich ein verdeckter Hohlraum; dort hatte sich früher die Seele der Frau befunden. Als sie ihr Dasein als Muttergottheit gegen das eines Dekorationsartikels tauschte, wurde die Seele entfernt. Jetzt bot dieser Hohlraum gerade genug Platz für ein paar Banknoten (S. 26).

Dass Geld Seele verdrängt, ist zwar kein neuer Befund, interessant wäre aber, wo die Seele stattdessen Obdach findet. In der Liebe zwischen den Hauptfiguren? Jonas Brand lernt Marina Ruiz bei einem beruflichen Termin kennen: „Darf ich Sie zum Essen einladen“, fragte er. Sie antwortete: „Ich dachte schon, Sie würden nie fragen.“ (S.13). Nach dem so initiierten Restaurantbesuch begleitet er sie bis vor ihre Haustür. Er sagte etwas verlegen: „Ich nehme an, du bittest deine Dates nicht schon am ersten Abend zu einem Schlummertrunk herauf.“ „Doch“, antwortet sie. „Aber nicht die, die ich wiedersehen will.“ Sie nahm seinen Kopf, zog ihn zu sich heran und küsste ihn flüchtig auf den Mund ( S. 17). Solche schlagfertigen Dialoge, die auch das weitere Beisammensein dieses an sich sympathischen Paars prägen, vermitteln den Eindruck, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt. Aber eben nur die Chemie. Seelische Wärme breitet sich dabei nicht aus. Schon gar nicht, als Jonas und Marina gegen Ende des Romans überraschende Seitenwechsel vollziehen, die uns psychologisch nicht einleuchten. Die Partner wirken letztlich glatt: wie leere Gestalten aus Lack.

Sucht man beim übrigen Personal in Montecristo nach einem Gegengewicht dazu, wird man am ehesten bei Max Gantmann fündig – einem unbestechlichen Wirtschaftsjournalisten, der den frühen Tod seiner Ehefrau nicht verwindet. Doch von seinem Leiden zeigen sich nur die materiellen Auswüchse: Er ist zum fettleibigen Kettenraucher und Messie geworden. So wird er als eine Ausnahmeerscheinung in körperlicher, nicht in seelischer Hinsicht konkretisiert. Bei ihm wie bei den anderen Figuren bleibt das Innenleben unterbelichtet, auch wenn der Erzähler gelegentlich Beschreibungen der Gefühlswelt einstreut.

Suter dekuvriert eine seelenlose Gesellschaft mit glänzender Oberfläche, aber sein unpsychologisches Glanzstück ist genauso. In diesem Sinne könnte man sagen, das Buch entlarvt sich selbst. Vielleicht hat diese Ironie sogar Methode. Der Titel „Montecristo“ bezieht sich auf eine Drehbuchidee von Jonas Brand, welche ihm im eigenen Leben später selbst widerfährt. Mit anderen Worten: Was der Autor entwirft, fällt auf ihn wieder zurück.

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